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Der weibliche Körper als Kriegsschauplatz

Wie geht es den Frauen und deren Angehörigen, die am 7. Oktober von der Hamas entführt, vergewaltigt, verletzt oder ermordet wurden? Wie gehen diese Frauen damit um, dass große Teile der westlichen Welt, NGOs, Regierungen, auch Frauenorganisationen lange zu den Massakern geschwiegen haben oder es noch immer tun? So laut geschwiegen haben, dass sich sogar ein Hashtag #Metoounlessyouareajew  verbreitet hat.

Die Welt muss den Frauen und ihren Angehörigen, die Opfer von Sexualkriegsverbrechen der Hamas waren bzw. sind, zuhören. Zuhören ohne das Gesagte zu relativieren. Zuhören ohne „aber …“. UNO-Generalsekretär Guterres hat am 7. Oktober die Angriffe der Hamas zwar verurteilt, jedoch angemerkt: „sie seien nicht im luftleeren Raum passiert“. Was will er damit andeuten? Dass der Angriff provoziert, ausgelöst, verdient sei? UN Women hat ganze 60 Tage benötigt, um ein Statement herauszustottern, das durchaus klarer hätte ausfallen können. Die Frauen-Organisation der UNO hatte in den Wochen nach dem Angriff wesentlich mehr Artikel über Frauen in Gaza veröffentlicht. Die israelische Bevölkerung bzw. israelische Frauen im Speziellen wurden nicht in ihren Berichten erwähnt. Es bleibt der Beigeschmack der Kontextualisierung, des Nicht-Ernst-Nehmens, der Eindruck: das Leben jeder Frau sei nicht gleich viel wert.

Erst kürzlich, Ende Jänner 2024, reist die Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für sexuelle Gewalt in Konflikten, Pramila Patten nach Israel, um aus erster Hand einen Eindruck vom Ausmaß der von der Hamas begangenen Gräueltaten zu bekommen und diese Informationen an die zuständigen internationalen Stellen weiterzugeben. Die Berichte sollten im nächsten Jahresbericht der Vereinten Nationen über sexualisierte Gewalt in Konfliktgebieten ihren Niederschlag finden.

„Man schulde den Überlebenden und Opfern mehr als nur Solidarität“, sagt Patten – wie wenn diese von UN Women je gezeigt worden wäre. »Wir wollen sicherstellen, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt. Es ist das Schweigen der Überlebenden, die aus Scham und Stigmatisierung keine Anzeige erstatten, das sexuelle Gewalt so billig und wirksam macht: Billig, weil die Täter davon ausgehen, dass die Opfer sich nicht melden und sie völlig ungestraft frei herumlaufen werden, und wirksam, weil sie das Leben und die Lebensgrundlage der Opfer, ihrer Familien und Gesellschaften zerstören.“, so Patten weiter. Zunächst 120 Tage nicht auf den 7. Oktober zu reagieren – um dann beim ersten Besuch in Israel den Opfern auszurichten, ihr Schweigen mache „sexuelle Gewalt so billig und wirksam“ – ist im besten Falle unsensibel.

Wir treffen Orit Sulizeanu, Geschäftsführerin der israelischen Vereinigung der Hilfszentren für Opfer sexuellen Missbrauchs Mitte Jänner in Tel Aviv, noch vor dem Besuch von Patten. Sie bestätigt das Schweigen der Opfer von Vergewaltigungen einerseits als psychologische Reaktion auf das Geschehene, andererseits aus Angst vor dem sozialen Stigma. Sie betont allerdings, dass die überlebenden Frauen und Männer keine Erwartungen oder Forderungen des Staates und der Gesellschaft im Zusammenhang mit dem Trauma erfüllen müssen, das sie durchlebt haben. Sie müssen ausschließlich an sich selbst denken – an ihre Seelen und an ihre Körper – und die Kontrolle, die sie verloren haben, wiedergewinnen. Ihre Stimme werden sie zu dem Zeitpunkt und in der Weise erheben, die ihnen als passend erscheint.

Die Frauenorganisationen der Welt, allen voran UN Women, können noch immer etwas tun, meint Sulizeanu, indem sie diese grauenhaften Kriegsverbrechen endlich scharf und kompromisslos verurteilen und nicht kontextualisieren.

Vergewaltigungen als Kriegswaffe im Laufe der Zeit
Vergewaltigungen als Kriegswaffe gab es schon immer. Erschütternd ist, dass selten berichtet geschweige denn bestraft wurde. Die US-Feministin Susan Brownmiller war vor 50 Jahren die erste, die die Funktion der Vergewaltigung in Kriegen analysierte: „Sexualisierte Gewalt ist in bewaffneten Konflikten vor allem eine Botschaft unter Männern und ein wesentlicher Bestandteil der Strategie, den Feind zu demoralisieren und zu erniedrigen.“

Erst 2001 wurde im Jugoslawien-Tribunal in Den Haag erstmals Vergewaltigung in Zusammenhang mit kriegerischen Aktionen als schwerer Verstoß gegen die Genfer Konventionen verurteilt und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. 2008 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Resolution 1820 den Einsatz von sexualisierter Gewalt erstmals als Kriegstaktik bezeichnet und festgestellt, dass sexualisierte Gewalt eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedeuten kann. In Österreich spielten beispielsweise die systematischen Sexualverbrechen der Roten Armee in den Nachkriegsjahren weder in den betroffenen Familien noch im öffentlichen Diskurs eine Rolle. Die Schulbücher schwiegen darüber, die Geschichtsbücher auch, die traumatisierten Frauen sowieso.

In ihrem neuen Essay »Putins Krieg gegen die Frauen« erzählt die finnisch-estnische Autorin Sofie Oksanen von Russlands systematischen Verbrechen an weiblichen Kriegsopfern – und der „erstaunlichen Ignoranz des Westens.“ Bereits früher thematisierte Oksanen Sexualisierte Gewalt, die die Frauen während der sowjetischen Besatzung Estlands erfuhren. Anhand der teilweise empörten Reaktionen sieht man, wie sehr dieses Thema immer noch einen Tabubruch darstellt. 

Einordnung von Sexualisierter Gewalt im Rahmen von Kriegshandlungen
Orit Sulizeanu erklärt, wodurch sich Sexualisierte Gewalt im Rahmen von Kriegshandlungen auszeichnet – beim Angriff vom 7. Oktober fanden diese auf besonders extreme Weise Ausdruck:
1. Vergewaltigung als Teilschritt einer Mordhandlung.
2. Vergewaltigung als Bestandteil der Kampfdoktrin: Die Anzahl der Opfer war hoch, da Vergewaltigung ein Element des Handlungskonzepts der Hamas bildete.
3. Weitverbreitete Gruppenvergewaltigung.
4. Brutalität: Die Vergewaltigungen wurden unter Einsatz sadistischer Folterpraktiken mit präzedenzloser Grausamkeit durchgeführt.
5. Mangelhafte Berichterstattung
6. Vergewaltigung als Horrorshow: Neben den Angriffen unter Teilnahme und in Anwesenheit anderer Hamas-Kämpfer erfolgten die Misshandlungen vor den Augen anderer Opfer mit dem Ziel, Grauen und Angst zu verbreiten, zwecks Unterdrückung und Demütigung. (Aus: Hamas-Terror am 7. Oktober: Sexualisierte Gewalt hinterlässt tiefe Traumata | IPG Journal vom 19.12.2023)

Die Abgeordnete zur Knesset, Merav Ben-Ari von der zentral-liberalen Partei Yesh Atid erklärt uns die Auswirkungen der Sexualverbrechen auf Israel so: „Die Scham über Vergewaltigungen von Frauen auf individueller Ebene ist zu einer Scham des ganzen Landes geworden, das sich als solches vergewaltigt fühlt und nach Aufklärung, Anerkennung der Verletzungen und gerichtlicher Verfolgung ruft“, so die Abgeordnete.

Die fehlende Solidarität mit den israelischen Opfern macht das Trauma noch schwerer. Das Gefühl, das Leben jeder Frau sei eben nicht gleich viel wert. Am Ende des Gesprächs fragen wir Orit und Merav, was sie uns gerne nach Österreich mitgeben würde. Sie antworten: „Believe Israeli Women.“

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